Die unsichtbaren Fäden: Die fehlende Transparenz in den Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie
Die Textilindustrie ist eine der weltweit größten Wirtschaftszweige, die Millionen von Arbeitsplätzen schafft – insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dennoch bleibt sie auch eine der intransparentesten Industrien, wenn es um die Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette geht. Während Verbraucher:innen zunehmend nach fair produzierter Kleidung fragen, stoßen Marken und Organisationen bei der Überprüfung und Verbesserung der Arbeitsstandards auf zahlreiche Hindernisse.
Komplexe globale Lieferketten
Ein Hauptgrund für die mangelnde Transparenz liegt in der Komplexität der globalen Lieferketten. Die Herstellung eines Kleidungsstücks erfolgt selten an einem einzigen Ort. Stattdessen wird die Produktion in verschiedene Stufen aufgeteilt: Von der Baumwollernte über das Spinnen, Weben und Färben bis hin zur finalen Konfektionierung durchläuft ein Kleidungsstück oft mehrere Länder.Laut einer Studie des Clean Clothes Campaign-Netzwerks gibt es weltweit mehr als 75.000 Textilfabriken, die in die globalen Lieferketten eingebunden sind.¹ Diese Fabriken arbeiten häufig als Zulieferer für verschiedene Marken, wodurch es schwierig wird, die Verantwortlichkeiten für die Arbeitsbedingungen klar zuzuweisen.
Outsourcing und Subunternehmen
Ein weiteres Hindernis ist die weit verbreitete Praxis des Outsourcings. Hauptauftragnehmer, die von großen Marken beauftragt werden, lagern Teile der Produktion oft an Subunternehmen aus. Diese Subunternehmen wiederum beauftragen kleinere Betriebe oder sogenannte informelle Werkstätten. Die Arbeitsbedingungen in diesen Einrichtungen entziehen sich häufig jeglicher Kontrolle, da sie nicht in offiziellen Vertragsvereinbarungen erfasst sind.
Ein Bericht der International Labour Organization (ILO) weist darauf hin, dass in der informellen Textilwirtschaft häufig Kinderarbeit, extrem niedrige Löhne und unsichere Arbeitsbedingungen herrschen.² Marken, die ihre Produktion an externe Dienstleister vergeben, erfahren oft nicht einmal von diesen Missständen – oder ignorieren sie gezielt.
Gesetzliche Rahmenbedingungen und deren Durchsetzung
In den Ländern, in denen Textilien hauptsächlich produziert werden, wie Bangladesch, Vietnam oder Äthiopien, sind Arbeitsgesetze oft unzureichend oder werden nicht konsequent durchgesetzt. Mindestlohnvorschriften liegen in vielen dieser Länder unterhalb des Existenzminimums, und Arbeitsinspektionen werden selten durchgeführt.
Ein besonders tragischer Vorfall, der auf diese Schwächen hinwies, war der Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes in Bangladesch im Jahr 2013. Obwohl Sicherheitsmängel bekannt waren, wurden keine Maßnahmen ergriffen, was über 1.100 Menschen das Leben kostete.³
Mangel an Transparenz durch Marken
Während einige Modeunternehmen Maßnahmen ergreifen, um die Transparenz in ihren Lieferketten zu erhöhen, bleibt dies bei vielen anderen aus. Untersuchungen von Fashion Revolution ergaben, dass weniger als 50 % der großen Modemarken ihre direkten Zulieferer offenlegen – und nur 7 % veröffentlichen Informationen zu den weiterführenden Stufen der Lieferkette, wie Spinnereien oder Färbereien.⁴
Die Ursache liegt oft im Kostenfaktor: Transparenz bedeutet Investitionen in Audits, Überwachungssysteme und Schulungen, die mit höheren Produktionskosten einhergehen. Marken fürchten, dadurch ihre Wettbewerbsvorteile bei den Preisen zu verlieren.
Korruption und mangelnde Infrastruktur
Korruption in Produktionsländern erschwert ebenfalls die Einhaltung von Arbeitsstandards. Inspektoren oder Behörden können bestochen werden, um Verstöße gegen Arbeitsschutzgesetze zu ignorieren. Zudem fehlen in vielen Ländern die Ressourcen und das Fachwissen, um Fabriken regelmäßig zu überprüfen oder Verstöße angemessen zu ahnden.
Lösungsansätze für bessere Arbeitsbedingungen
Um die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie nachhaltig zu verbessern, sind sowohl politische als auch wirtschaftliche Maßnahmen erforderlich:
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Verpflichtende Transparenzrichtlinien:
Regierungen können Unternehmen dazu verpflichten, ihre Lieferketten offenzulegen und regelmäßig Berichte über soziale und ökologische Standards zu veröffentlichen. Das deutsche Lieferkettengesetz, das 2023 in Kraft getreten ist, stellt einen ersten Schritt dar, sollte jedoch auf europäischer Ebene weiter verschärft werden. -
Existenzsichernde Löhne und Gewerkschaften:
Marken und Fabriken sollten sicherstellen, dass die Arbeiter:innen existenzsichernde Löhne erhalten. Gleichzeitig muss der Aufbau unabhängiger Gewerkschaften gefördert werden, um kollektive Verhandlungen zu ermöglichen. -
Digitale Rückverfolgbarkeit:
Technologien wie Blockchain können eingesetzt werden, um jede Stufe der Lieferkette transparent zu machen. So könnten Verbraucher:innen nachvollziehen, woher ein Produkt stammt und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde. -
Förderung lokaler Produktionsstandorte:
Eine stärkere regionale Produktion könnte dazu beitragen, die Lieferketten zu verkürzen und die Kontrolle über Arbeitsstandards zu erleichtern. Gleichzeitig würde dies den ökologischen Fußabdruck der Textilindustrie verringern. -
Bildung und Aufklärung:
Sowohl Verbraucher:innen als auch Arbeiter:innen sollten über ihre Rechte informiert werden. Kampagnen und Bildungsprogramme können dazu beitragen, die Nachfrage nach fair produzierter Kleidung zu steigern und Arbeiter:innen zu stärken.
Fazit
Die schlechten Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie sind das Ergebnis einer Kombination aus globalisierten Lieferketten, mangelhafter Regulierung und wirtschaftlichem Druck. Der Weg zu einer faireren Industrie erfordert konsequente Maßnahmen von Regierungen, Unternehmen und Verbraucher:innen gleichermaßen. Nur durch Zusammenarbeit und Transparenz können menschenwürdige Arbeitsbedingungen und nachhaltigere Produktionsmethoden in der Textilindustrie etabliert werden.
Quellen:
¹ Clean Clothes Campaign (2022). Lieferketten in der Textilindustrie. https://cleanclothes.org/lieferketten
² International Labour Organization (2023). Informelle Wirtschaft und Arbeitsbedingungen. https://ilo.org/informelle-wirtschaft
³ Der Spiegel (2013). Rana Plaza: Die Katastrophe in Bangladesch. https://spiegel.de/rana-plaza
⁴ Fashion Revolution (2024). Transparency Index. https://fashionrevolution.org